Liebe Freundinnen und Freunde, ich möchte heute, ein paar Tage nach der denkwürdigen Entscheidung des Deutschen Bundestages für die Öffnung der Ehe, ein paar Gedanken loswerden. Zum einen zu dem langen Weg zur Gleichstellung und der Rolle unserer Arbeitsgemeinschaft in diesem Prozess und dazu, was dieser Meilenstein für unsere weitere Arbeit bedeutet.

Als der Bundestag 1994, durch den Einigungsvertrag verpflichtet, endgültig den §175 aus dem Strafgesetzbuch tilgte, war dies das Ende der Kriminalisierung von Menschen auf Grund ihrer sexuellen Identität in Deutschland. Erst dieser entscheidende Schritt, ermöglichte es der LSBTI-Community ihre Ziele neu zu definieren und das Thema Gleichstellung auf die Agenda zu setzen. Vorher war dies, mit dem Makel des ins Gesetzbuch gemeißelten Verbotes, undenkbar gewesen.

Mit dem Regierungswechsel 1998 begann das Rot-Grüne Projekt und damit eine neue Chance für eine progressive Gesellschaftspolitik.  2001 wurde mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz eine Möglichkeit geschaffen, die Liebe von lesbischen und schwulen Paaren zu institutionalisieren. Damit katapultierte sich Deutschland zu einem der Vorreiter für die Gleichstellung von LSBTI in Europa. CDU/CSU klagten erfolglos vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz. So wird es ihnen übrigens auch diesmal ergehen, wenn sie es versuchen sollten.

Mit dem Ende von Rot-Grün und dem Beginn der Kanzlerschaft von Angela Merkel, legten sich 12 Jahre Stillstand über das Land. LSBTI-Politik konnte nur noch auf Länderebene gelingen. Grüne und LINKE erinnerten aus der Opposition heraus immer wieder daran, dass der Status quo nicht das Ende Entwicklung unserer Gesellschaft sein durfte. Mit dem sehr optimistischen Slogan: „100% Gleichstellung nur mit uns!“ zog unsere Arbeitsgemeinschaft in den Wahlkampf 2013. Ein Ziel, das schon länger Beschlusslage der SPD war.

Das  Ergebnis der Bundestagswahlen 2013 und die darauf folgenden, fruchtlosen Koalitionsverhandlungen, in der die Öffnung der Ehe von CDU/CSU kategorisch als Verhandlungsthema abgelehnt wurde, ließ uns demoralisiert und enttäuscht zurück. Der Vertrauensverlust in der Community war dramatisch und spiegelte sich in verschiedenen Reaktionen auf den CSDs und in sozialen Netzwerken wieder. Ohne die „Ehe für Alle“ als verbindliche Bedingung für Koalitionsverhandlungen, brauchten wir uns im Bundestagswahlkampf nicht mehr auf die CSDs zu trauen.

Dieses Ziel wurde auf unserer Bundeskonferenz in Schwerin 2016 in einem Beschluss formuliert und sollte auf dem Programmparteitag 2017 in das Wahlprogramm der SPD aufgenommen werden. Wir wollten uns nicht noch einmal vorführen lassen. Kurz nach der Nominierung von Martin Schulz zum Spitzenkandidaten und Parteivorsitzenden, bat der neu gewählte Bundesvorstand der SPDqueer mit seiner Vorsitzenden Petra Nowacki, um ein gemeinsames Gespräch. Dieses denkwürdige Gespräch fand ausgerechnet am 17. Mai 2017 im Willy Brand Haus statt. In diesem Gespräch, an dem ich dankenswerterweise teilnehmen durfte, machte der Vorstand der SPDqueer Martin Schulz klar, was für uns als Arbeitsgemeinschaft und Partei auf dem Spiel stand. Die Glaubwürdigkeit der SPD als progressive Kraft für die Rechte von LSBTI in diesem Land.

Zu unserer aller Überraschung, wurde Martin in diesem Gespräch sehr deutlich und nahm unser Anliegen auf. Er machte sich unseren Vorschlag einer roten Linie für Koalitionsverhandlungen zu Eigen, erbat aber vorher noch die Zustimmung der Gremien. Das Ziel der vollen Gleichstellung, schien plötzlich zum Greifen nahe. Die Wochen bis zu dem noch nicht definierten Zeitpunkt, spannten uns allerdings sehr auf die Folter. Verunsichert durch die Programmkommission, die alle roten Linien aus dem Wahl-Programm halten wollte, musste eine Strategie für den Bundesparteitag in Dortmund entwickelt werden.

Volker Beck, langjähriger und einer der wichtigsten Streiter für die Rechte von LSBTI in Deutschland, hatte es vorgemacht. Er zwang die Grünen dazu, in ihrem Programm Farbe zu bekennen und die Öffnung der Ehe zu einer roten Linie zu machen. Dahinter durften auch wir nicht zurück fallen und der Bundesvorstand sowie die Landesvorstände der SPDqueer entfalteten eine beeindruckende Gesprächsdiplomatie auf allen Kanälen der Partei. So kam es, dass Martin die „Ehe für Alle“ als einzige rote Linie in seine Programmrede aufnahm. Er hatte sein Versprechen nicht vergessen, aber die Vorstellung, gemeinsam mit anderen Punkten, erst nach dem Parteitag vorgesehen.

Die SPDqueer hatte es tatsächlich geschafft, sich in die Programmrede des Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten hinein zu intervenieren. Ein beispielloser Vorgang, der zum einen zeigte, welch einen Einfluss unsere Arbeitsgemeinschaft mittlerweile in der SPD errungen hat und zum anderen, welchen Stellenwert unsere Anliegen mittlerweile in der gesamten Partei erreicht hat. Letztendlich führte diese Ansage und die ebenfalls von Grünen und FDP formulierten roten Linien dazu, dass sich die CDU zügig darüber Gedanken machen musste, wie sie mit diesem Thema im Wahlkampf umzugehen gedenke.

Noch am selben Wochenende trafen sich die Spitzen der CDU, um sich unter Anderem eine gemeinsame Formulierung zu überlegen, wie sie das Thema „Ehe für Alle“ möglichst im Wahlkampf entschärfen könnten. Daraus entstand die Idee von der Gewissensentscheidung, die man dann nach den Wahlen abhalten könnte. Öffentlich sollte diese „neue“ Position erst später gemacht werden. Aber die Frage eines Journalisten der queeren „blu“ Mediengruppe zur Ehe für Alle, entlockte Angela Merkel dann bereits beim lockeren Plausch mit der Frauenzeitschrift Brigitte den vermeintlichen Meinungsumschwung.

Allerdings hatte Angela Merkel weder bedacht, wie schnell diese Neuigkeit die Runde machen würde, noch wie sehr sie Martin Schulz mit ihrer Frechheit herausfordern würde. Hatte sie doch tatsächlich behauptet, dass in der Koalition in vier Jahren, das Thema nie eine Rolle gespielt hätte. Die Empörung bei Martin Schulz und im Parteivorstand war derart groß, dass man beschloss Nägel mit Köpfen zu machen. Schnell wurde die Fraktion damit beauftragt zu prüfen, ob der Gesetzentwurf des Bundesrates, der schon über 30 mal im Rechtsausschuss vertag wurde, noch bis Freitag im Plenum zur Abstimmung gebracht werden könnte.

Den Rest der Geschichte kennen wir. Auf der Pressekonferenz zur Vorstellung der Regierungsbilanz der SPD am 26. Juni, verkündete Martin Schulz die Sensation. Die SPD fordert noch vor der Bundestagswahl eine offene Abstimmung zur Öffnung der Ehe und das notfalls auch ohne die CDU. Vier Tage später war dann der große Tag gekommen und der Bundestag verabschiedete mit den Stimmen von SPD, Grünen, LINKE und  von Teilen  der CDU/CSU Fraktion die Öffnung der Ehe für Alle.

Fast vergessen ist, dass der Bundestag kurz vorher die Rehabilitierung und Entschädigung der nach §175 verurteilten schwulen Männer beschlossen hatte. Schon allein dass ein Meilenstein in der Emanzipationsbewegung unserer Community.

Und was jetzt? Haben wir alles erreicht? Können wir uns jetzt auflösen?

Auf keinen Fall!

Denn wir haben gerade erst die Voraussetzung dafür geschaffen, den Kampf für eine offenere Gesellschaft und gegen Homo-, Trans- und Interphobie erst richtig wirksam aufzunehmen. Denn solange die durch den Staat zementierte, rechtliche Ungleichheit bestand, konnte glaubwürdige Antidiskriminierungsarbeit nicht wirklich erfolgreich stattfinden. Ein ganzes Feld neuer Aufgaben und Herausforderungen warten darauf, von uns in Angriff genommen zu werden, um dieses Land zu einem Ort zu machen, an dem Menschen wirklich frei von Angst und Diskriminierung leben können.

Hier nur ein paar Beispiele:

  • Neues Transsexuellengesetz
  • Aufnahme der sexuellen Orientierung in den §3 des Grundgesetzes
  • Verbot von Konversionstherapien
  • Abschaffung diskriminierender Sonderregelungen im Arbeitsrecht
  • Verbot von Genitalverstümmelungen bei intergeschlechtlichen Kindern
  • Kampf gegen Diskriminierung innerhalb der Community
  • Aufnahme von Beratung und Hilfe zu sexueller Orientierung und Geschlecht in den Katalog gemeinnütziger Ziele